Du willst nur mal raus aus der Stadt, um endlich einen klaren Kopf zu
bekommen. Du willst diesmal aber hoch hinauf in die Alpen, um weit
übers Land zu blicken - so als könntest du von da oben deine Seelenpein
aus einem heilenden Winkel betrachten.
Es liegt hoher Schnee in
den Bergen. Die Sonne scheint grell und wärmt dein Antlitz. Der Himmel
ist wolkenlos und wirkt dunkelblau. Du bist da oben dem Himmel näher
und dir ist plötzlich, als spürest du den Flügelschlag der Engel. Dir
ist sogar, als sähest du da einen auf dem vereisten Gratrücken - eine
Schneewehe ist vom Kammwind zu einer geflügelten Mädchenfrau geformt.
Ihr Gesicht erinnert dich an deine hübsche, damals frischgebackene
Lateinlehrerin von der High-School. Sie würde jetzt sagen: "Viel Nix
ist gefallen...", und: "Johnny, du siehst da lediglich ein Gebilde aus
Nix, du Schlingel."
Nix, heißt Schnee auf Latein. Viel
Schnee - Viel Nix - wie gegensätzlich im Deutschen - wie Varus und Armin
im Teutoburger Wald.
Du schlürfst den Flachmann leer.
Balsam für's Gemüt. Die Sonne prallt auf das Meer aus schneebedeckten
Gipfeln, und du bekommst Halluzinationen. Du siehst plötzlich Dinge,
die da gar nicht hingehören. Und du fragst dich ungewollt, ob die
deutschen Nixen wohl aus diesem lateinischen Begriff abgeleitet worden
sind. Nixe, die Schnee-Fee? Wie schön das wäre - und vielleicht
stimmt's sogar.
Die reflektierten Sonnenstrahlen blenden
dich und lassen deine Augen tränen. Die Nixen beginnen zu tanzen in den
vergossenen Seelentröpfchen. Du wünscht dir die stechende Sonne weg,
und erzürnst damit die Nixen-Göttin. Sie schickt dir promt dunkle
Wolken. Frost zieht auf. Es wird finster, ein Blizzard zieht auf. Mit
Mühe nur erreichst du die rettende Schutzhütte - und du weißt: du hast
den Nixentanz entweiht.
Am nächsten Tag merkst du, dass
die Sonne nicht mehr aufgeht. Du blickst auf die Uhr. Es ist bald
Mittag - doch keine einziger Sonnenstrahl scheint durch's Fenster. Es
ist stockdunkel da draußen. Gewissensbisse ziehn auf - sie nagen im
Gemüt und stechen in der Seele. So also sieht der Zorn der verschmähten
Nixen aus. Sie rauben dir das Licht und das Vertrauen. Und es ist
unheimlich stille da draußen.
Du steigst in den Wirtsraum
hinab und siehst Öllampen brennen - wie noch am Abend zuvor. Das
gemischte Handvoll Bergsteiger lächelt dir jedoch entgegen und ergötzt
sich an deinem verwirrten Blick.
"Es hat uns zugeschneit", ruft einer.
"Wir
kriegen nix Luft - nur noch durch den rauchigen Kamin", fügt eine
Hübsche bei. Sie ähnelt wirklich deiner Lateinlehrerin - könnte
vielleicht ihre Enkelin sein.
"Und mit dem Funk ist auch nix", verklickt dir ein Dritter.
"Und
unsere Handys taugen hier oben gar nix", sagen zwei bezaubernde
Zwillingsschwestern im Synchron. "Und die beiden Kerle werden bald durch
den Kamin ins Nix verschwinden - denn der eine ist der Nikolaus und
der andere macht den Knecht Ruprecht."
Du mustertst die
komische Bande. Dein Flachmann ist leer - du greifst gar nicht danach.
Du raunst rätselnd: "Und ihr drei Mädels seid die Nixen die ich gestern
im Schnee tanzen sah?"
Sie lächeln. "Hat es dir denn nix gefallen?"
Du siehst wie die Kerle tatsächlich in den Kamin kriechen und nach oben verschwinden.
"Und jetzt?", frägst du.
"Nix!", antworten alle drei Nixen auf einmal. "Nixen vernixen Nix im Nix, niemals nix!"
ENDE