Ich habe keine Ahnung worüber meine demenzkranke Mutter grad wieder faselt.
Sie schielt
mich listig an und macht eine Geste dass sie in den Rollstuhl will. Ich hieve sie
hinein, dabei haucht sie mir gebrechlich einen Kuss auf die Rückhand. „Fahr
mich nochmal durchs Haus“, bittet sie mit einem sanften Lächeln auf den faltigen,
fahlen Lippen.
Ich fahre
sie ins Ankleidezimmer wo ich zwei Schränke für ihre Kleidung frei
gemacht
habe. Dort verweilt sie immer gerne beim Anblick ihrer Habseligkeiten.
Diesmal aber schreit sie aufgebracht los: „Nein, nein, du darfst deiner
Nachbarin
nicht meine Kleider schenken. Aufhören!“
„Mutter da
ist niemand – und ich stehe doch genau hinter dir.“
„Nein, du
bist da vorne und steckst ihr meine schönen Kleider in den Sack den sie gierig
aufhält. Böse Nachbarin!“
„Mutter ich
habe überhaupt keine Nachbarin. Ich wohne doch alleine hier in diesem
abgerissenen Viertel. Nur wir beide sind noch hier - weit und breit kein
anderer Mensch.“ Ich verdunkle den Raum - und Mutter beruhigt sich.
„Du sollst
sie nie wieder zu meinen Sachen lassen. Schwöre mir das!“
Ich schwöre gar nichts, schiebe
den Rollstuhl raus und merke wie sie immer wieder nickt; so wie jemand der urplötzlich zufrieden ist
wie er seinen Acker bestellt hat. „Es wird dir an nichts mangeln, Sohn … wenn
die Walküre mich morgen abholt.“ Tiefste Zufriedenheit erfüllt den Raum.
Dann aber kommt's dicke: „Du hast mir
vergeben … als ich zuließ dass ER dich erwürgte als Dreijährigen. Du warst
doch der Bastard – aber deine Schwester war von IHM und daher rein arisch. Du … nur eine
Zigeunersünde – obwohl kein Mann mich jemals besser befriedigen konnte als
dein leiblicher Vater: Der Zigeunerbaron – so nannten wir ihn – denn auch er
war ein verfluchter Bastard. Sein heimlicher Vater, der blaublütige Gutsbesitzer von und zu – seine Mutter, eine hübsche
Zigeunermagd eben. Sie starb früh … vergiftet von der Herrin, munkelte man.
Deine Großmutter. Was hast du nur für eine schreckliche Familie?!“
Ich schiebe
den Rollstuhl schon lange nicht mehr. Mir
dämmert es zwischen den Schuppen die mir gerade, in Zeitlupe, vor die aufgehenden Augen
fallen. Und ich verstehe plötzlich, wieso ich als Knabe kleine Küken abwürgte - ihnen dabei
weinend zuflüsterte, dass ich das aus lauter Liebe tat; sie erlöste vor einem grausamen Dasein auf jenem Schinderhof.
Muttern fährt fort:
„ER dachte
du wärest tot und verscharrte dich im Misthaufen den ER am nächsten Tag
aufs
Feld fahren wollte. Mich hatte ER mit einer Flasche Schnaps
narkotisiert. Und
deine Schwester lachte … deine Halbschwester eigentlich. Meine Tochter.
Am nächsten Morgen aber warst du fort: Die Schweine, die ich abends nicht mehr in den Stall sperren konnte, hatten dich
rausgewühlt und
irgendwie reanimiert – und du schliefst bei ihnen eine Zeit lang,
futtertest mit ihnen aus dem Trog. Du hattest eben Schwein gehabt. Aber
für IHN war das ein böses Omen - denn
als ER nach dir suchte, trat ER arg schlimm in einen rostigen Nagel
hinein. Eine sofortige
Blutvergiftung war die Folge - und ein Schweinekeim befiel seine Leber.
Ich durfte dich von den Schweinen wieder ins Haus
holen, während ER im Spital litt – und später taten wir alle als wäre
nichts
gewesen. Und siehe, du hast mir vergeben. Du pflegst mich jetzt,
fütterst mich
wie ein kleines Baby, wischst mir den Hintern sauber, badest mich und
kleidest mich rein. Du bist wahrlich ein guter Sohn. Deine Schwester
aber
wollte mich ins Heim stecken. Du nicht, mein gutster Bastard.“
Beide starren
wir in die sich drehende Waschtrommel - denn im Wäscheraum kamen wir zum stehen.
Buntwäsche dreht sich monoton – mal
hin mal her, und mir ist als drehe sich auch die Zeit zurück. Mein Magen
dreht sich ebenfalls. Der ganze Waschraum dreht sich mit mir.
„Auch hast
du mir vergeben, nachdem wir dich vom Hofe ekelten – als deine Schwester
schändlich geschwängert
nach Hause kam und Platz brauchte für ihren Katholiken und das Balg. Es
war
dein Besitz, der dir schon zu Lebzeiten überschrieben wurde von der
reuigen, greisen Gutsbesitzerin - irgendwie als Wiedergutmachung. Wir
lebten quasi bei dir zur Miete – doch das
wusstest du nicht einmal; eben weil wir dir davon nichts sagten, dafür
nichts zahlten - dich von dort nur rausekelten. Eigentlich müsste ich
dafür in der Hölle schmoren. Aber siehe, die Walküre wird mich nun
dennoch nach Walhalla bringen. Morgen schon. Ich habs gesehn! Und wir
jagten dich fort – und du ließest es geschehn.
Das war schwach von dir. Aber nur gerecht – denn als kleiner Junge hattest du
die
Nester der Rauchschwalben zertrümmert. Es war nur recht was dir
geschehen.“
Ich sehe
mich nicken wie ein reumütiger Zombie - sehe
mich
verzerrt im Spiegelbild der Waschtrommeltür drehen, bin irgendwie
hypnotisiert als ich gestehe: „Nicht nur das. Ich habe auch die Pferde
abends nie getränkt, obwohl ich nur wenige Schritte weiter, zusammen mit den Kumpels, ganze Eimer Wein soff - während die Pferde dursteten.“
„Du bist ein
sehr einsichtiger Junge geworden“, spricht die müde gewordene Mutter. „Leider ein
halbes Jahrhundert
zu spät. Aber dem Fluch der Pferde bist du dennoch nicht entkommen. Sie
verfluchten dich, auf dass du ebenfalls kein Wasser mehr trinken
solltest: Nur noch Alkohol. Die Folgen: Magendurchbruch, Leberzirrhose,
abgestumpftes Hirn, ein Kotzbrocken wurdest du. Genau so wie man sich
einen Bastard vorstellt. Erst als dein Würgevater starb - am
Schweinekeim - wich dieser furchtbare Pferdefluch von dir."
Als genieße sie das Echo ihrer Worte in meinem geplagten Hirn, kichert sie vor sich hin. "Bring mich jetzt bitte ins Bett. Ich will schlafen, … lange, lange schlafen – bevor du‘s dir noch anders überlegst und mir nicht mehr vergibst. Ich will nämlich in Frieden gehen, mein Sohn. Jetzt, solange du noch geschockt bist!“ Erneut kichert sie. "Dann wird auch mein eigener Bann weg sein, der dich zum Junggesellendasein verdammt hat - damit du dich nur und nur um mich kümmern sollst im bedürftigen Alter. Ich weiß, ich bin ein Biest - aber ein liebes Biest, nicht wahr? Denn siehe nur, wie alle Ehen in die Brüche gehen und wie viele unschuldige Kinder leiden müssen, nur weil sich so ein Kerl nicht mit seiner Kuni oder Gunde versteht. Vor all diesem schmutzigen Ehescheiß habe ich dich bewahrt, mein Sohn."
Als genieße sie das Echo ihrer Worte in meinem geplagten Hirn, kichert sie vor sich hin. "Bring mich jetzt bitte ins Bett. Ich will schlafen, … lange, lange schlafen – bevor du‘s dir noch anders überlegst und mir nicht mehr vergibst. Ich will nämlich in Frieden gehen, mein Sohn. Jetzt, solange du noch geschockt bist!“ Erneut kichert sie. "Dann wird auch mein eigener Bann weg sein, der dich zum Junggesellendasein verdammt hat - damit du dich nur und nur um mich kümmern sollst im bedürftigen Alter. Ich weiß, ich bin ein Biest - aber ein liebes Biest, nicht wahr? Denn siehe nur, wie alle Ehen in die Brüche gehen und wie viele unschuldige Kinder leiden müssen, nur weil sich so ein Kerl nicht mit seiner Kuni oder Gunde versteht. Vor all diesem schmutzigen Ehescheiß habe ich dich bewahrt, mein Sohn."
"Was für'n
Schwachsinn redest du nur wieder", murmele ich in den Bart hinein und
will das alles nicht wahrhaben. Ich beschließe, wieder ihre alten
Demenztabletten zu bestellen bei der Hausärztin - die Neuen taugen
nichts, wie man grad sieht.
Ich wasche
die Mutter zur Nacht. Tausend Fragen bohren in meinem Gemüt, nehme ihr das Gebiss wieder heraus und lege
ihr frische Windeln an.
Dann schellt das Telefon. Es dauert eine Weile bis ich
der Schwester erkläre, dass sie eigentlich nur meine Halbschwester sei und warum ich sie wohl nie wieder in dieses, mein Haus, herein
lassen werde. Als ich zurück komme, ist Muttern tot. Sie grinst schelmisch, ein Auge noch halb offen.
Ich rufe mit zittrigen Händen den
Notdienst, lege ihr panisch das Gebiss wieder ein und kann nicht glauben dass sie gestorben ist - einfach so, von einem Augenblick zum andern.
Stehe komplett neben mir, unfähig auch nur einen einzigen, klaren Gedanken zu fassen. Meine ganze Welt verändert sich gerade. Ich checke die Konten, ob wir uns hier überhaupt das Sterben leisten können?! Unsere Welt ist ungerechter als die der anderen: Kaum haben wir was, verfüttern wir es an die Würmer unter der Erde - und uns gleich mit dazu.
Stehe komplett neben mir, unfähig auch nur einen einzigen, klaren Gedanken zu fassen. Meine ganze Welt verändert sich gerade. Ich checke die Konten, ob wir uns hier überhaupt das Sterben leisten können?! Unsere Welt ist ungerechter als die der anderen: Kaum haben wir was, verfüttern wir es an die Würmer unter der Erde - und uns gleich mit dazu.
Der Notarzt
ist nach fünf Minuten eingetroffen. „Wünschen sie eine
Reanimation“, fragt er mich.
„Ist sowas
denn möglich … bei einer Neunzigjährigen?“
„Neunzig?“
Er nickt trotzdem. „Liegt bei ihnen. Noch fünf Minuten hätten wir.“ Er
sieht
mich leicht den Kopf schütteln und fängt an, sein Protokoll zu
schreiben. „Es
ist sehr heiß … und den Totenschein wird wohl ein Kollege ausstellen
müssen, aber erst nachdem die Totenstarre eingetreten ist. Das wird
dauern bei dieser Hitze. Ich
binde ihr noch das Maul fest – sonst klafft ihr Mund auf ... das wäre
schäbig.“ Bevor er geht tatscht er noch tröstend meine Schulter und raunt: "Willkommen im Club der Vollwaisen!"
Die heiße
Nacht wühlt mich noch mehr auf. Ich zünde dazu noch zwei Kerzen an, stelle sie neben Mutters Haupt und lege ihr zwei Euromünzen auf die geschlossenen Augen, da sonst ein Lid immer wieder schielend aufgeht. Noch ist kein einziges Gelenk starr. Anschließend halte ich Totenwache. Muttern liegt
da, mit
der Maulbinde um den Kopf, als hätte sie Zahnschmerzen.
Gegen Morgen surrt ein Fax aus dem Apparat: „Wir fliegen nach Mallorca, so mit Muttern alles ok ist“, schreibt die Schwester. Und ich sehe wie sie lacht vor dem Misthaufen in den ich grad verscharrt werde. „Wenn du mich nicht mehr in deine Wohnung lässt, um Mutter zu besuchen, werde ich nach meinem Urlaub, sie in einem Heim unterbringen. Grüßle trotzdem!“
Gegen Morgen surrt ein Fax aus dem Apparat: „Wir fliegen nach Mallorca, so mit Muttern alles ok ist“, schreibt die Schwester. Und ich sehe wie sie lacht vor dem Misthaufen in den ich grad verscharrt werde. „Wenn du mich nicht mehr in deine Wohnung lässt, um Mutter zu besuchen, werde ich nach meinem Urlaub, sie in einem Heim unterbringen. Grüßle trotzdem!“
Erst vormittags um Neune zeigt sich das erste
starre Gelenk an den Zehen. Ich rufe den Arzt nochmal. Er kann endlich den Totenschein ausstellen.
Dann rufe ich den erstbesten Leichenbestatter aus dem Telefonbuch an. Der Mann
sagt, er würde jemanden vorbei schicken.
Eine viertel Stunde später, stand sie dann einfach da in der Türe: Mutters Walküre; außergewöhnlich groß für eine Frau, wohlproportioniert, blond, blauäugig und anmutig schön. „Ich bin die Ehefrau des Bestatters", stellt sie sich mit goldig heller Stimme vor. "...und ich bin gekommen, um ihre liebe Mutter abzuholen.“
Eine viertel Stunde später, stand sie dann einfach da in der Türe: Mutters Walküre; außergewöhnlich groß für eine Frau, wohlproportioniert, blond, blauäugig und anmutig schön. „Ich bin die Ehefrau des Bestatters", stellt sie sich mit goldig heller Stimme vor. "...und ich bin gekommen, um ihre liebe Mutter abzuholen.“
Ein Woche
später steht ein Wohnwagen in den Abrisstrümmern gleich neben meinem
Bruchhaus. Ich gehe hin und treffe auf eine hübsche Frau in den Dreißigern mit
ihrem etwa
zehnjährigen Jungen. Sie hat ein Veilchen ums Auge, bemerke ich - und
sie wolle keineswegs ins Frauenhaus, beteuert die Arme. Ob es
möglich sei, für eine Weile, hier ihren verbeulten Wohnwagen stehen zu
lassen. Ich blicke mich in der trostlosen Gegend um: "Passt!"
Ein paar Tage später
stehen wir im Ankleidezimmer. Die "Nachbarin" hilft mir beim Ausräumen
von Mutters
Kleidung; hält mir den Plastiksack auf, den ich der Schwester quasi als Erbteil schicken
will ... wenn sie ohnehin schon nicht auf Mutters Beerdigung dabei sein
konnte, da unerreichbar im Urlaub. Auch brauche ich den Platz in den
beiden Schränken für Kunigundes Kleidung - denn ihr Wohnwagen ist
winzig, und ich habe ja so viel freie Bude jetzt. Sie und ihr niedliches
Söhnlein sind gestern bei mir eingezogen.
Danke Muttern!
Danke Muttern!