Schritt für Schritt näherst du dich dem tödlichen Reptil. Du willst, dass es dich beißt - denn in drei Stunden wird es dich dann nicht mehr dursten. Deine Seele wird alsbald vom sündigen Körper erlöst und schwebt endlich in die langersehnte Hölle. Und dein Körper wird dann vom Schakal gefressen und gelangt transzendental zu Isis und Osiris ins Reich der Toten. So denkst du dir das.
Dann ist es soweit. Du hast die Schongrenze überschritten und die Schlange kann gar nichts mehr dafür, dass sie jetzt wie ein Blitz hochschnellt und dir in den Nabel beißt. Es zischt es rasselt und es wird Gift in dich hinein geschossen. Sehr viel Gift - denn das Auge der Schlange hat dein Körpergewicht gemustert und die notwendige Dosis genaustens berechnet. Aber du bist ein großes Tier. Ihr ganzer Vorrat ist somit binnen eines Sekundenbruchteils vergeudet worden. Und während du zu sterben beginnst, steht die Schlange jetzt quasi schutzlos da.
Und das weiß auch der Schakal. Darauf hat er nur gewartet. Außerdem weiß er aus Erfahrung, dass Klapperschlangenfleisch besser schmeckt als Menschenfleisch. Schlangenfleisch ist rein, unverdorben vom Geiste her, frei von jeglicher Sünde, ja es hat irgendwie sogar den Geschmack des unschuldigen Märtyrers. All das weiß der Schakal, der sich jetzt gerade von der Düne herunter macht. Er weiß aber auch, dass er der Schlange keine Zeit mehr lassen darf für die Regeneration des neuen Giftes.
Zielgenau scherwenzelt er die Düne herunter. Er hält neben dir und beäugt dich kaum. Für ihn bist du ein Wesen, dem man nicht genug Qualen an den Hals wünschen kann. Ein viel zu schöner Tod ist das, den dir da die Klapperschlange beschert hat, denkt er. Du stehst bei ihm nämlich ganz unten in der Rangliste der Wesen - bist sowas wie ein Grippevirus für ihn - eines von diesen milliardenfachen aufgeplusterten Geschöpfen, die nach und nach die ganze Erde verpesten.
Der Schakal lässt dich links liegen. Du begreifst in diesem schändlichen Augenblick, dass es wohl nichts mit Osiris und Isis wird. Du wirst niemals in das Reich der Toten eingelassen, weil der wachende Pförtner, der Schakal, das nicht zulässt - du müsstest da nämlich erst durch seinen Magen - aber du stinkst ihm zu arg - er wird dich nicht verspeisen. Schande!
Urplötzlich verstehst du, warum sich die Pharaonen posthum diesen menschlichen Gestank rausnehmen ließen und sich mit Weihrauch einbalsamieren ließen. Einsichten über Einsichten ziehn vor deinem geistigen Auge vorbei. Im Sterben wirst du endlich weise und keiner erfährt es. Schade! Und du kannst all diese Erkenntnisse nirgendwo mehr aufschreiben, als neben dich in den Sand, mit erlahmendem Finger.
Dein erstarrender Blick verfolgt weiterhin den Schakal und die Klapperschlange. Du grinst gequält, denn du weißt, dass die Schlange jetzt bald dran ist. Sie schauen sich vielwissend in die Augen, der Schakal und die Klapperschlange. Es ist ein einziger Jammer für die Klapperschlange. Jahrtausende lang musste sie, des Menschen wegen, für dessen Sündenfall im Paradies hinhalten, obwohl das niemals so geschehn ist und sie niemals was verbockt hat. Und jetzt ist sie gift- und wehrlos wegen wiedermal so einem Menschen, der von ihr gebissen werden wollte. Also was tut sie? Sie verflucht dich, den Menschen der da sterbend im Sande liegt.
Das merkst und spürst du sehr deutlich. Und jetzt weißt du, dass du mit diesem Fluch niemals in die ersehnte, ewige Unterwelt gelangen kannst. Nur die Unverfluchten und Gerechten kommen dahin. Die Schlange allein entscheidet, wer in diesen Genuß kommen darf. Es bleibt dir jetzt nur noch der Himmel übrig - aber wer will schon dahin, wo man doch weiß welch' Geistes Kinder dort jauchzen?!
Du schreist laut auf und keiner hört dich - denn dein Schrei wirkt stumm im großen Schweigen der Wüste! Und du bist jetzt der Schlangenschakal.